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„Älterwerden als Chance begreifen“

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„Älterwerden als Chance begreifen“

Dr. Eckart von Hirschhausen studierte Medizin und Wissenschaftsjournalismus in Berlin, London und Heidelberg. Seine Spezialität: medizinische Inhalte auf humorvolle Art und Weise zu vermitteln und gesundes Lachen mit nachhaltigen Botschaften zu verbinden. Seit über 20 Jahren ist er als Komiker, Autor und Moderator unterwegs – unter anderem für den Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis.

Herr von Hirschhausen, In Ihrem Buch schreiben Sie über diesen einen Punkt, an dem Ihnen klar wurde: Jetzt liegt mehr hinter Ihnen, als vor Ihnen...

Ich bin jetzt 52. An meinem 50. Geburtstag wurde mir plötzlich klar – es liegt weniger vor mir als hinter mir. Das war und ist für mich aber kein Grund, Angst vor dem Alter zu haben. Ein Problem hat man doch wirklich nur, wenn man nicht 50 wird!

Um es klar zu sagen: Das Alter ist besser als sein Ruf! Die meisten Menschen sind mit 70 besser drauf als mit 17.

„Das Beste kommt noch.“ ist also keine Phrase?

Nein, nicht wenn wir aufhören, Älterwerden als Krankheit oder stetiges Schlimmerwerden zu begreifen. Altern ist kein Abgesang, Altern ist Leben für Fortgeschrittene. Ich habe auch Knieschmerzen, Rücken und seit neuestem eine Gleitsichtbrille. Entspannungsbrille wie der Verkäufer immer so freundlich war zu betonen.

Aber ich weiß auch, wie kostbar die Zeit ist. Mit wem verbringe ich sie? Mit welchen Themen? Worüber rege ich mich auf, worüber lache ich? Was bleibt von mir? Und ganz wichtig: Was kann ich an die nächste Generation weitergeben.

Erscheint es nicht paradox, dass wir im Alter gleichzeitig kränker und glücklicher werden können? Wie ist das zu erklären?

In der Tat zeigt die Forschung, dass es Älteren oft gelingt, ihre Zufriedenheit von körperlichen Gebrechen loszukoppeln. Das nennt man auch „Wohlfühlparadoxon“. Man setzt die Erwartungen nicht mehr so hoch, kann loslassen, wird gelassener.

Das ist keine Selbsttäuschung, wie man denken könnte, sondern ein Befund, der sich immer wieder bestätigt.

Wird man heute anders alt als vielleicht noch vor 20 Jahren? Was bedeutet Gesundheit für die alternde Gesellschaft?

Wir werden tatsächlich gesünder älter, auch wenn sich das erstmal nicht so anfühlt. Natürlich nehmen Krankheiten im Alter zu, aber es gibt ebenso viele beruhigende Studien über das Älterwerden: Erstens nimmt die Lebenszufriedenheit mit dem Alter gewöhnlich zu. Und zweitens: Je älter man wird, desto älter wird man. Klingt komisch, ist aber so: Statistisch steigt die Lebenserwartung mit jedem Jahr, das man erreicht.

Denn wer bis 70 noch nicht gestorben ist, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit 80 als einer, der erst 42 ist und bis 80 noch einige Hindernisse zu bewältigen hat. Es ist also an uns als Gesellschaft, das Alter auch positiv und als Chance zu begreifen. Und Prävention wirkt auch im Alter, zum Beispiel Ausdauer, Kraftsport und Balance zu üben lohnt sich immer! Turne bis zur Urne!

Stichwort Prävention: Brauchen wir eine staatliche Regulierung für die Faktoren, die uns glücklich und gesund machen?

Es war ein großer Irrtum der letzten Jahrzehnte, alles „dem Markt“ zu überlassen und zu glauben, dass Wettbewerb im Gesundheitswesen alles zum Guten regelt. Denn: Wenn jemand nicht krank wird, verdient keiner was. Deshalb ist „Prävention“ auch kein Geschäftsmodell – und trotzdem für jeden Einzelnen, die Gesellschaft und die Wirtschaft sinnvoll. Was gab es für einen Aufschrei, als Rauchen in den Kneipen verboten wurde. Es gab aber keinen Weltuntergang, sondern mehr Leute, die in eine Kneipe gehen und da atmen können. Zack gingen die Herzinfarkte durch Rauchen und Passivrauchen messbar runter.

Ich bin für eine klare Lebensmittelkennzeichnung, für Steuern auf Dickmachern wie zuckerstrotzenden Getränken, Aufklärung und Gesundheitsunterricht in den Schulen, der auch Psychologie und seelische Gesundheit umfassen muss. Positiv gesprochen bestimmt der Rahmen unser Verhalten, nicht die Vernunft. In Dänemark fahren viel mehr Menschen mit dem Rad zur Arbeit, weil die Radwege so breit sind wie die Straßen. Das sind alles politische Entscheidungen, die sich positiv auf die persönlichen Entscheidungen auswirken. Aber dieser Gedanke von „Public Health“ ist leider in Deutschland noch unterentwickelt.

Woran mangelt es in gesundheitspolitischen Debatten immer wieder?

Wer hat den Menschen von seiner Zeugung bis zu seinem Tod im Blick? Jeder sieht einen kleinen Ausschnitt des großen Bogens und wundert sich, warum an den falschen Stellen gespart oder auch unsinnig Geld ausgegeben wird. Eine der besten Präventionsmaßnahmen sind zum Beispiel Familienhebammen, die dafür sorgen, dass eine Schwangerschaft nicht durch unnötigen Stress, Überforderung bis hin zu Alkohol, Zigaretten, Drogen und häuslicher Gewalt belastet wird.

Wenn ein Kind durch eine Investition vor seiner Geburt einen guten Start ins Leben hat, zahlt sich das die nächsten 80 Jahre für die Gemeinschaft aus. Ich würde auch Gesundheitsunterricht in den Kindergärten und Schulen viel stärker fördern und professionalisieren. Und das hat nichts mit Krankenkassen oder Parteien zu tun, dafür braucht es nur ein bisschen Herz und Menschenverstand.

Und wahrscheinlich auch ein bisschen Humor. Wie würde sich mehr Lachen wohl auf unser Gesundheitssystem auswirken? Würde es weniger Herzinfarkte, weniger Depressionen, weniger Drogenabhängige geben?

Davon bin ich überzeugt. Engpass bleibt, dass mehr Humor auch immer mit mehr Menschen verbunden ist. Wir können uns nicht selbst kitzeln. So wenig wie Lachgas oder eine Tablette einen herzlichen authentischen Kontakt ersetzen kann. Das Grundproblem aller Präventionsmaßnahmen: wer investiert heute, damit es später weniger Ausgaben und dafür mehr Lebensqualität gibt?

Wir stecken uns ständig gegenseitig an: mit Stress, mit schlechter Laune, oder eben mit Kooperation, Empathie und Lebensfreude. Lachen ist ja nur ein Indikator für seelische Gesundheit: Tanzen Sie, reisen Sie, machen Sie Musik und lieben Sie das Jetzt! Klingt banal. Aber später ist das Jetzt von jetzt vorbei. Für immer. Das Leben ist wie eine Wunderkerze. Es brennt ab. So oder so. Wundern müssen wir uns selbst.

Ein gesunder Geist in einem nicht ganz so gesunden Körper – davor haben viele Menschen Angst.

Das ist verständlich, aber Angst ist die falsche Antwort. Was die richtige Antwort wäre, ist ein guter Lebensstil und alles weglassen, was es verkürzt. In meinem Liveprogramm „Endlich!“ bringe ich es ganz einfach auf den Punkt: 15 Jahre unseres Lebens hängen am Lebensstil.

Es gibt keine Tablette, keine Operation und erst recht keine Creme, die uns besser schützen als fünf ganz einfache Dinge des Alltags: nicht rauchen, bewegen, Gemüse – erwachsen werden und Kind bleiben.

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Bewegung und ein gesunder Lebensstil sind laut Dr. Eckhart von Hirschhausen der Schlüssel, um auch im fortgeschrittenen Alter noch fit und vital zu sein. (Foto: Pikselstock/Stock.adobe.com)

Was passiert, wenn man im Alter gepflegt werden muss?

Hoffentlich ist das kein Problem – in den letzten Jahren wurden 50.000 Pflegekräfte eingespart. Warum hört man in der Gesundheitspolitik so viel von den 29.000 Apothekern in Deutschland. Und so wenig von den 1,5 Millionen Pflegekräften? Wenn die Lokführer oder die Piloten streiken, kommt man nicht von A nach B. Aber wenn die Pflege streikt, kommt keiner mehr vom Bett aufs Klo. Als Ärzte sollten wir nicht nur für unsere Situation einstehen, sondern auch begreifen, dass die Zukunft der Medizin nur im Team liegen kann.

Alle reden von „personalisierter Medizin“. Aber dafür braucht es vor allem auch Personen! Ausgerechnet die idealistischen und hoch motivierten brennen als schnellstes aus, wenn ihre Ansprüche und die Realität aufeinanderprallen. Dem versuchen wir mit meiner Stiftung HUMOR HILFT HEILEN etwas entgegen zu setzen.

Was macht Ihre Stiftung genau?

Seit ihrer Gründung vor 10 Jahren hat die Stiftung bundesweit bereits 700 Projekte unterstützt, die das Lachen ins Gesundheitswesen bringen. Los ging es mal mit den Clowns in den Kinderkliniken. Inzwischen machen wir sehr viele Projekte für die Pflege. Aktuell entwickeln wir ein Curriculum und eine App für die Pflegeausbildung, denn viele Themen wie Achtsamkeit, Seelenhygiene und Resilienz gehören dringend von Anfang an in die Ausbildung integriert. Nur wer mit sich selbst pfleglich umgeht, kann auch andere pflegen. Ich bin stolz auf das, was wir schon erreicht haben:

Mit mehr als 6 Millionen Euro wurden bisher knapp 1000 Workshops, mehr als 10.000 Clownsvisiten und sechs wissenschaftliche Studien gefördert. Insgesamt erreichten wir mit unseren Interventionen über eine halbe Million Patienten, Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige. Und wir haben noch viel vor! Ich möchte noch erleben, dass es Humor auf Krankenschein gibt, denn momentan sind wir auf Spenden angewiesen. Dabei ist Lachen doch die beste Medizin!

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