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Leitinterview mit Prof. Dr. Markus Thomzik: Optimismus trotz Krisen
Kontakt: Philip Schönfeld Datum: 21 Januar 2025 Lesedauer: 5 Minuten Kategorien: Arbeitswelt Themen: Facility Management, Leitinterview, Panorama
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Prof. Dr. Markus Thomzik forscht und lehrt an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Sein Fachbereich erstreckt sich von Betriebswirtschaftslehre bis hin zum Facility Management (FM). Er gilt als Experte für die digitale Transformation der Branche und ist Moderator des größten Innovationspodcasts „InnoFM“. Im Leitinterview spricht er über aktuelle Themen, Trends und Herausforderungen im FM.
Die FM-Branche wächst entgegen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung kontinuierlich. Wie schätzen Sie die aktuelle Marktlage ein?
Den allgemeinen wirtschaftlichen Schwankungen zum Trotz hat die Facility-Management-Branche schon immer eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit gezeigt. Dabei steht auch das FM – wie viele andere Branchen – vor der Herausforderung, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden und zu halten. Aber getrieben durch Innovation, einen anhaltenden Outsourcing-Trend und die steigende Nachfrage
nach ESG-konformen – also Umwelt- und Sozialstandards entsprechenden – Lösungen bleibt es in Summe eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft. Das bestätigen seit vielen Jahren auch die Analysen von Lünendonk und mein FM-Branchenreport im Auftrag des Deutschen Verbands für Facility Management, gefma.
Sie arbeiten eng mit Fachleuten und Führungskräften aus der Wirtschaft zusammen. Erleben Sie da eher Optimismus oder Zurückhaltung, wenn es um die Zukunft geht?
Die aktuelle Stimmung unter den Führungskräften der deutschen Wirtschaft ist in der Tat durchwachsen. Die Gemütslage in der deutschen FM-Branche ist aber überwiegend optimistisch. Trotz oder gerade wegen der
bekannten Multikrisen wird erwartet, dass der FM-Bereich von den Unsicherheiten eher profitiert, da in Krisenzeiten die Neigung zur Auslagerung von unterstützenden Funktionen steigt.
Werden Zukunftsfähigkeit und Innovation hintenangestellt, wenn die Konjunktur schwächelt?
Das ist teils ein bekannter Reflex. Auf der anderen Seite werde ich nicht müde, zu betonen, dass Krisenzeiten auch Innovationszeiten sind, weil der Handlungsdruck von außen stets ein großer Treiber für Veränderungen ist. Es überrascht also nicht, dass mit Krisen die Hoffnung verbunden wird,
danach besser dazustehen als zuvor – was jedoch mehr erfordert als kurzatmiges Krisenmanagement. Zumindest dann, wenn nachhaltige Entwicklungschancen gemeint sind.
Digitalisierung gilt als einer der Megatrends unserer Zeit. An welchen Stellen beweist das FM, dass die digitale Transformation nicht nur Trendthema, sondern wesentlicher Erfolgsfaktor ist?
Für mich ist die digitale Transformation bereits eine riesige Erfolgsgeschichte bezogen auf die internen Prozesse der FM-Dienstleister. Mit Blick auf die Leistungen im Regelbetrieb beim Kunden vor Ort müssen
die Nutzenversprechen der Digitalisierung noch belegt werden. Aus den zahlreichen guten Show-Cases müssen auch Business-Cases werden.

Digitalisierung und Transformation sind auch in der FM-Branche entscheidend. (Bild: Piepenbrock Unternehmensgruppe)
Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Mund und kommt an immer mehr Arbeitsplätzen zum Einsatz. Welche Chancen und Grenzen sehen Sie für die KI im FM?
Die Digitalisierung bietet riesige Rationalisierungspotenziale in den internen Prozesslandschaften. Daneben werden dem Facility Manager perspektivisch mehr und mehr Routinetätigkeiten der Bewirtschaftung erleichtert oder gar abgenommen – beispielsweise durch den Einsatz von Sensorik in der Kombination mit künstlicher Intelligenz. Hier müssen neue Kompetenzen innerhalb der FM-Branche aufgebaut werden.
Der Bedarf an Fachkräften ist hoch, die diesen digitalen Wandel mit geänderten und gänzlich neuen Kompetenzen aktiv gestalten. Ob allerdings der Fachkräftemangel im Zuge der digitalen Transformation noch weiter zu eskalieren droht oder im Gegenteil eventuell sogar entschärft wird, bleibt abzuwarten.
Am Ende geht nichts ganz ohne den Menschen. Was sagen Sie denjenigen, die sich womöglich um ihren Arbeitsplatz sorgen?
Als Innovationsforscher sage ich immer, echte Innovationen werden nicht von der KI oder Algorithmen, sondern ausschließlich von Menschen gemacht. Auch im FM gilt bis auf Weiteres, dass die Branche ein „people business“ bleibt. Aber: Wenn KI, Blockchain und Robotik ihre Nutzenversprechen halten, wird es spannend. In einer ersten Welle könnte nach meiner Einschätzung zunächst eine Vielzahl von Kompetenzträgern in administrativen und juristischen Routinebereichen eines Backoffice betroffen sein. Im Gegensatz zu früheren Technologiesprüngen, bei denen die Kompetenzträger im Umgang mit neuen Technologien auf ein neues Niveau gebracht werden konnten, werden durch die anstehenden Entwicklungen vielleicht gerade hochqualifizierte Fachkräfte in administrativen Bereichen schlicht nicht mehr benötigt.
Wer glaubt daran, dass die Buchhalterin oder der Jurist bald Algorithmen für Big Data-Analysen programmieren, die sie dann ersetzen könnten? Für solche Arbeitsplätze stellt sich die Frage, ob diese vermeintliche Automatisierung ein Problem darstellt – oder aufgrund des Fachkräftemangels eher Teil der Lösung ist. Die Mitarbeiter der infrastrukturellen, technischen und insgesamt handwerklichen Leistungen müssen sich in den nächsten Jahren keine Sorgen machen. Hier dürfen wir die Leistungsfähigkeit digitaler Tools nicht überschätzen. Es wird zunächst eher um „Cobotik“ gehen – die sinnvolle Zusammenarbeit von Mensch und Roboter.
In der Branche stehen alle Anbieter vor gleichen Herausforderungen. Wie können wir voneinander lernen und Synergien nutzen?
Basierend auf den empirischen Ergebnissen der Innovationsforschung der letzten Jahrzehnte habe ich hier eine spezielle Meinung jenseits des Mainstreams. Auf der Suche nach den Problemlösungen und in der Hoffnung auf Patentrezepte für Innovationen geben viele Unternehmen Trendstudien oder Benchmarkingprojekte in Auftrag. Sie wenden sich an Berater, laufen dann aber final doch nur im „Innovationskreis“. Wenn alle aufgrund von runden Tischen und derselben Datenlage den gleichen Modeströmungen folgen, dann führt dieser – auch methodische – Konsens nicht zu der angestrebten
Wettbewerbs- oder Innovationsführerschaft. Sondern er führt nur in Bereiche höchster Wettbewerbsintensität, für die teils noch nicht einmal die erforderlichen Kompetenzen verfügbar sind. Diese müssen dann aufwändig durch externes Wachstum beschafft werden. Externes Wachstum darf nicht mit dem aufwändigen Prozess der eigenen Unternehmensentwicklung verwechselt werden, um mit neuen Konzepten die Kundenprobleme von morgen zu lösen.
Schauen Sie mit uns gemeinsam in die berühmte Kristallkugel: Welche FM-Themen erwarten uns aus Ihrer Sicht in den nächsten zehn Jahren?
Die Themen ESG – konkret CSRD, also die europäische Verpflichtung zur Transparenz in Bezug auf Nachhaltigkeit – und Digitalisierung haben das Zeug, die Branche auch in den nächsten Jahren massiv aufzuwerten. Hierbei dürfen sich die Akteure in den kommenden
Jahren nach ersten Erfolgen nicht nur gegenseitig auf die Schultern klopfen. Das FM ist dazu aufgerufen, den Krisen zu trotzen und die Zukunft proaktiv zu gestalten.
Und zum Abschluss eine persönliche Frage: Wenn Sie Ihrem jüngeren Ich einen Rat geben dürften, würden Sie sich wieder für die FM-Branche entscheiden? Warum?
Zunächst muss ich eingestehen, dass ich hier zumindest bei meinen drei Söhnen versagt habe. Keiner von ihnen hat die FM-Branche auch nur in Erwägung gezogen. Viele andere Branchen, die alle um die Fach- und Führungskräfte von morgen buhlen, haben bei jungen Menschen ein recht attraktives Image. Wir müssen also weiter trommeln
für eine FM-Branche, die attraktiv ist und zumindest am dynamischen Rand alles richtig macht, um für junge Menschen noch attraktiver zu werden. Ich bin als schlichter BWLer über Umwege und aufgrund von einigen Zufällen in dieser herrlichen Branche gelandet. Heute würde ich mich aus voller Überzeugung und auf direktem Wege für die Branche entscheiden.
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