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„Öffentliches Bewusstsein für Neurodegeneration schärfen“

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Professor Pierluigi Nicotera

Professor Pierluigi Nicotera ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und leitet das Forschungsinstitut seit seiner Gründung im Jahr 2009. Im Interview spricht er über Demenz und andere Hirnerkrankungen und warum er Forschung als Schlüssel für eine gesunde Zukunft sieht.

Mit welchem Ziel wurde das DZNE gegründet?

Wir widmen uns Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und verschiedenen weiteren, die Demenz, Bewegungsstörungen und andere schwerwiegende gesundheitliche Probleme verursachen. Sie haben alle gemeinsam, dass Netzwerke von Nervenzellen nach und nach ihre Funktion einbüßen und schließlich Nervenzellen und andere Gehirnzellen zugrunde gehen. Das nennt man Neurodegeneration. Derzeit lässt sich keine dieser Krankheiten wirksam behandeln. Es ist zwar möglich, die Symptome in einem gewissen Umfang zu lindern. Aber es gibt keine Heilung. Die Neurodegeneration schreitet unweigerlich voran. Und damit verschlechtert sich der Gesundheits-zustand. Wir schätzen, dass es in Deutschland insgesamt etwa zwei Millionen Patienten gibt.

Man muss aber immer auch deren Angehörige im Blick haben. Viele von ihnen sind in die tägliche Pflege und Betreuung ihrer erkrankten Familienmitglieder eingebunden. Das ist eine enorme Belastung. Neurodegenerative Erkrankungen haben also immer auch Auswir-kungen auf das soziale Umfeld der Patienten. Deshalb forscht das DZNE dafür, dass diese Erkrankungen früher erkannt und besser behandelt werden können. Wir wollen ihre Ursachen verstehen, die Vorsorge verbessern und arbeiten auch an innovativen Konzepten für die Pflege und Versorgung. Wir decken alle diese Aspekte ab. Unsere Forschung ist daher stark interdisziplinär. Darüber hinaus arbeiten wir mit zahlreichen Partnern aus der Wissenschaft im In- und Ausland zusammen und kooperieren auch mit der Industrie.

Neurodegenerative Erkrankungen wirken sich auch auf das soziale Umfeld der Patienten aus. Deshalb forscht das DZNE dafür, dass diese Erkrankungen früher erkannt und besser behandelt werden können.

Neurodegenerative Erkrankungen wirken sich auch auf das soziale Umfeld der Patienten aus. Deshalb forscht das DZNE dafür, dass diese Erkrankungen früher erkannt und besser behandelt werden können. (Bild: DZNE/Frommann)

Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Als Gründungsdirektor des DZNE im Jahr 2009 bestand meine Aufgabe darin, die Organisation aufzubauen, ihre wissenschaftliche Strategie festzulegen und zu bestimmen, welche Forschungs-bereiche entwickelt werden sollten. Heute ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das DZNE eine der weltweit führenden Organisationen im Bereich neurodegenerativer Erkrankungen bleibt.

Darüber hinaus bin ich gemeinsam mit unserem administrativen Vorstand Dr. Sabine Helling-Moegen für das Tagesgeschäft verantwortlich. Außerdem pflege ich enge Kontakte zu anderen Forschungseinrichtungen und zu Industriepartnern. Wissenschaft ist international. Und obwohl wir uns in einem Wettbewerb befinden, arbeitet man auch über Ländergrenzen hinweg zusammen.

Forschung kostet: Wie wichtig sind neben der staatlichen Förderung Geldgeber aus der Wirtschaft?

Grundlage für die Arbeit des DZNE ist die Förderung des Bundes und der Länder. Zusätzlich werben wir sogenannte Drittmittel für innovative Projekte ein, zum Beispiel bei der Europäischen Union oder anderen Forschungsförderern. Darüber hinaus unterhält das DZNE strategische Kooperationen mit Partnern aus der Industrie, zum Beispiel aus der Pharma- und IT-Branche. Dabei geht es um den Austausch von Know-how, Forschungsmaterialien, Hardware und auch um finanzielle Unterstützung. Angesichts der enormen Herausforderungen und Kosten, die mit der Entwicklung von Präventions- und Behandlungsstrategien einhergehen, benötigen wir jedoch auch privates Kapital. Wir haben deshalb eine Stiftung gegründet, die Spenden für die Forschung des DZNE einwirbt.

Wenn es um die Finanzierung von Forschung geht, sollte man bedenken, dass Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen enorme Kosten für die Gesellschaft verursachen. Und die Tendenz ist steigend, weil die Zahl der betroffenen Personen infolge des demografischen Wandels zunimmt. In Anbetracht dessen ist die Finanzierung der Forschung noch ausbaufähig. Forschung kann viel bewirken. Sowohl Krebs als auch AIDS kamen früher einem Todesurteil gleich. Inzwischen sind diese Krankheiten dank Investitionen in die Wissenschaft behandelbar geworden. Und gerade in jüngster Zeit hat die rasche Entwicklung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus gezeigt, was eine massive Finanzierung der medizinischen Forschung bewirken kann. Forschung ist die beste Investition für eine gesunde Zukunft.

Gibt es in Ihren Augen eine gesellschaftliche Verantwortung für Unternehmen, sich in der Forschung rund um Volkskrankheiten zu engagieren?

Unternehmen sind herzlich eingeladen, den Kampf gegen Volkskrankheiten zu unterstützen. Außerdem können Unternehmen durch ihr Engagement dazu beitragen, das öffentliche Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Gesundheit nicht als selbstverständlich angesehen werden sollte. Jeder kann und sollte etwas für seine eigene Gesundheit tun.

Es geht aber auch darum, ein politisches Klima für Investitionen in die Forschung zu schaffen. Das ist unerlässlich, um die Medizin und das Gesundheitswesen voranzubringen. Und es ist wichtig, dass solche Appelle nicht nur aus der Wissenschaft, sondern auch aus der Wirtschaft kommen.

Welche Rolle spielt der Hartwig Piepenbrock-DZNE-Preis für Ihre Arbeit?

Der Preis ehrt herausragende Forschung und macht sie sichtbar. Die Piepenbrock Unternehmensgruppe und die Familie Piepenbrock zeigen mit dieser Auszeichnung, wie unternehmerisches und persönliches Engagement dazu beitragen kann, wissenschaftliche Leistungen publik zu machen.

Darüber hinaus bietet der Preis einen Anlass, die gravierenden Auswirkungen von Demenz und anderer neurodegenerativer Erkrankungen öffentlich zu thematisieren. Dies fördert das gesellschaftliche Bewusstsein für die Bedürfnisse der Patienten und ihrer Familien.

Warum ist die Demenz-Forschung gerade auch mit Blick auf die Zukunft so wichtig?

Demenz ist nicht die einzige, aber die häufigste Auswirkung von Neurodegeneration. Man schätzt, dass hierzulande derzeit etwa 1,6 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sind. Und die Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Falls keine besseren Präventionsstrategien und Behandlungen entwickelt werden, könnte diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 2,8 Millionen anwachsen. Die Belastung für die Gesellschaft nimmt also ständig zu. Glücklicherweise leben wir immer länger,

aber mit dem Alter steigt auch das Risiko für Demenz. Das DZNE hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieser Entwicklung mit innovativen Therapien und Maßnahmen zur Unterstützung der Patienten und ihrer Familien entgegenzuwirken. Wir arbeiten hart daran, die Lebensqualität aller Betroffenen zu verbessern, und haben in dieser Hinsicht bereits einiges auf den Weg gebracht. Das motiviert uns und treibt uns an.

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